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Anglizismen, grammatikalisch falsche Werbeslogans, primitive Jugendsprache, Schreib- und Leseschwächen: Wie kaputt ist eigentlich unsere Sprach-Kultur?
Aktuellen Schätzungen zufolge haben bis zu 600.000 Österreicher Probleme, einen Zahlschein auszufüllen, eine Zeitung zu lesen oder die Packungsbeilage für ein Medikament zu verstehen. Trotz Schulpflicht können sie nur schlecht oder gar nicht sinnerfassend lesen oder schreiben. Was gilt es zu tun? Sprechen unsere Kinder irgendwann nur noch „denglisch"? Der Versuch, die deutsche Sprache von Anglizismen zu befreien, findet immer mehr Befürworter: „Prallkissen" statt „Airbag", „Bildwerfer" statt „Beamer", „netzplaudern" statt „chatten".
Erst kürzlich wählte der Verein „Deutsche Sprache" den Duden zum „Sprachpanscher" des Jahres 2013. Begründung: Zu viele lächerliche Angeber-Anglizismen, die gar nicht notwendig seien, stünden nun in dem Werk. Einst hatte der Duden normierende Kraft, heutzutage scheint der gelbe Wälzer aber vor allem den gängigen Sprachgebrauch abbilden zu wollen. Während Kritiker vor einer Verrohung der Sprache warnen, begrüßen andere die Weiterentwicklung. Welche Zukunft hat die deutsche Sprache, und wie verändert unsere Wortwahl die Gesellschaft?
Medienwissenschaftler Fritz Hausjell im DATUM-Interview:
Gegen Anglizismen hat Kommunikationswissenschaftler Hausjell nichts. Gegen die selbsternannten Hüter der reinen, deutschen Sprache dafür umso mehr.
DATUM: Wie sind Sie mit dem Zustand der deutschen Sprache zufrieden?
Fritz Hausjell: „Ich bin nicht unzufrieden, aber Verbesserungen sind immer drin. Wir brauchen mehr Gelegenheiten, uns über den Zustand der Sprache Gedanken zu machen. Denn die Frage, wie sich Sprache entwickelt, betrifft die gesamte Gesellschaft. Zum Beispiel die Frage des funktionalen Analphabetismus. Da geht es um Teilhabe und gerechte Chancen. Moderne Gesellschaften drohen in Partikularinteressen zu zerfallen, das könnte so starke Gegensätze hervorbringen, dass es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt. Wir müssen uns also vergewissern, dass möglichst alle in der Gesellschaft über die grundlegenden Fähigkeiten verfügen, sich einzubringen."
DATUM: Nach einer aktuellen OECD-Schätzung gibt es 800.000 funktionale Analphabeten in Österreich.
Hausjell: „Die 800.000 beziehen sich auf jene, die sprechfähig sein sollten, man muss also die Babys abziehen. Das heißt der Prozentsatz in der Bevölkerung liegt bei geschätzten 12 Prozent. Es gibt heute nur noch sehr wenige Berufe, in denen ich ohne Beherrschung des schriftlichen Ausdrucks durchkomme. Das bringt mit sich, dass die Personen, die aufgrund ihrer Berufstätigkeit betroffen sind, tendenziell immer mehr geworden sind. Die hohen Zahlen sind jedenfalls ein Alarmsignal für die Gesellschaft. Die Antworten liegen bestimmt nicht nur im Bildungssystem für ganz junge Menschen, sondern in einem Bildungssystem für die gesamte Gesellschaft, auch für die Erwachsenen."
DATUM: Was macht für Sie gute Sprache, gutes Deutsch aus?
Hausjell: „Eine zentrale Herausforderung ist, dass ein Text für möglichst viele verständlich ist. Kompliziert und umständlich schreiben kann man relativ schnell. Gerade im deutschsprachigen, akademischen Bereich haben wir eine gewisse Neigung zu sehr komplexer Sprache. Aber es gibt noch andere Kriterien: Zum Beispiel der Spannungsbogen – nicht nur bei journalistischen Geschichten, das gilt genauso für wissenschaftliche Texte. Grundsätzlich glaube ich, dass die Stärke in der Verknappung liegt. Wir verwenden sehr viele Füllwörter. In der Umgangssprache hilft uns das beim Nachdenken und wir müssen nicht zu viele Pausen machen, aber beim Lesen empfinde ich es eher als Zumutung. Ich glaube jedenfalls nicht, dass die gute, deutsche Sprache davon abhängig ist, wieviele Anglizismen man verwendet. Die Vorraussetzung ist, dass man sie richtig verwendet."
DATUM: Glauben Sie, dass Facebook etwas damit zu tun hat?
Hausjell: "Facebook und andere neue Medien haben in der Kommunikation einen hohen Stellenwert bekommen und andere Kommunikationsformen weitgehend ersetzt. Wenn wir uns private Briefe von früher ansehen, finden wir dort auch ein mitunter hohes Maß an Fehlern. Aber wahrscheinlich weniger als im Netz, weil man einen Brief noch einmal durchliest, bevor man ihn abschickt. Die zentrale Frage lautet: Welche anderen, gut redigierten Medien und Kommunikationsformen werden genutzt? Ein Buch kann hier ein gutes Beispiel sein. Wenn Schriftsteller X etwas schreibt, dann ist das wahrscheinlich die richtige Form. Wenn es keine Ebenen gibt, nach denen sich Menschen richten können, wird die Kommunikation über Facebook und Smartphone zu einer relativen Beschleunigung der Unverbindlichkeit von Regeln führen."
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