Shaded Hearts

Ich brenne.
An jedem anderen Tag wäre mir das Anlass genug zur Beunruhigung -
heute nicht. Heute muss alles klappen.
Der Gast würde um Punkt zwölf erscheinen. Vielleicht auch einige Minuten früher oder später; ich weiß noch nicht genau, ob er einer von der Sorte ist, die mit Absicht zu früh vor der Tür stehen, um einen unvorbereitet zu erwischen, oder aber ob er vielleicht zu spät kommt, um mich inmitten enttäuschter Resignation zu ertappen.
Ich würde mir nicht die Blöße geben, ich würde stets auf alles vorbereitet sein; meinetwegen hätte der Mann bereits seit einer Stunde im Flur stehen können, ich ließe mich davon nicht
oh Barmherziger da ist er ja schon.
Wir tauschen die angebrachten Höflichkeiten aus, der Gast merkt an, dass ich brenne. Ich versichere ihm, mir darüber im Klaren zu sein und biete ihm einen Sitzplatz an. Er bleibt stehen.
Der Gast ist von beeindruckender Gestalt, seine dichte Mähne quillt widerspenstig aus dem Hemdkragen, seine engen Lederschuhe haben sichtlich Probleme, die sicherlich gewaltigen Pranken zu halten. Er erscheint mir wie eine natürliche Respektsperson, ganz anders als die Gestalten, mit denen ich in meinen bisherigen Dienstjahren zu tun hatte.
Das waren meistens herrschsüchtige Böcke, einer selbstverliebter als der andere. Gerne blökten sie sich gegenseitig an und nach getaner Arbeit hinterließen sie allzu oft einen unerträglichen Mief in den Räumlichkeiten.
Ich bin beinahe zur Hälfte abgebrannt, es besteht also Grund zu Eile – jedoch ohne irgendwelcher Nachlässigkeit zu verfallen. Der Gast möge bitte warten, während ich die aufgesetzten Papiere aus dem Arbeitszimmer hole. Bei dem plötzlichen Erscheinen wird er mir nachsehen müssen, dass ich noch nicht alles Wichtige vor ihm ausgebreitet habe; ganz im Gegenteil halte ich es doch für geradezu vorbildlich, wie gut ich vorbereitet bin, dass ich mich von nichts irritieren lasse und
Grundgütiger die Papiere brennen.
Was erwarte ich auch, wenn einer, der brennt, mit Papier hantiert?
Aber ich werde nicht in Panik verfallen,
AUCH WENN REICHLICH GRUND DAZU BESTÜNDE,
ich werde nicht in Panik verfallen. Ich verrichte diesen Dienst bereits seit einigen Jahren und da lasse ich mich nicht von ein paar verbrannten Unterlagen verunsichern.
Nein, ich versichere dem Gast, dass wir die Angelegenheit bald abschließen werden und bitte ihn nur um etwas mehr Geduld. Er reagiert scheinbar gelassen, aber ich kenne Männer seine Schlages, kenne den gleichgültigen und doch so verurteilenden Blick seiner leuchtend gelben Augen.
Eine weitere Enttäuschung wird mit Sicherheit das Ende meiner Karriere bedeuten.
Es war nicht mehr viel von mir übrig, aber davon lasse ich mich nicht beirren. Ich beschließe ins Arbeitszimmer zurückzukehren und alle meine Möglichkeiten zu betrachten. Sicherlich habe ich in weiser Vorraussicht Kopien der Dokumente angefertigt; zur Not würde ich alles neu aufsetzen und
Allmächtiger das ganze Zimmer steht in Flammen.
Ich habe alle meine Möglichkeiten betrachtet, die letzte Verbleibende scheint die Flucht zu sein. Wahrscheinlich wird man mich gar nicht vermissen
und einfach meine Stelle an jemanden Neues vergeben, ich muss nur hier weg.
Der Gast wird sicherlich Wichtiges zu tun haben und meine Abwesenheit mit nicht mehr als einem Rümpfen seiner mächtigen Schnauze abtun. Ich muss nur durch den Flur und
oh nein er steht ja immer noch da.
Direkt vor mir steht der Gast auf seinen mächtigen Pranken und starrt mich mit seinen stechend gelben Augen an, das mörderische Gebiss entblößt. Die riesigen Fangzähne blitzen im Feuerschein und mit einem Mal schäme ich mich so sehr,
dass ich zu einem Häufchen Asche zerfalle.